Gewalt in der Hundeerziehung
- hundplusherz
- 17. Mai 2022
- 9 Min. Lesezeit

Schnauzgriff, Schlagen, Schütteln, Zwicken, Schubsen, Leinenruck, Stachelhalsband, zu Boden drücken, Einsamkeit… die Liste ist viel zu lang. Denn immer noch wird so viel Gewalt in der Hundeerziehung angewendet. Wird Zeit das wir das ändern.
Es macht mich schon ein bisschen traurig einen solchen Beitrag machen zu müssen, denn für mich ist es selbstverständlich: Gewalt hat in der Hundeerziehung nichts verloren. Bestrafungen sind in der Hundeerziehung nicht nur sinnlos, sondern auch noch kontraproduktiv. Das muss wohl einigen Menschen erst wieder nahe gebracht werden.
„Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch niemand andern zu“.
Bestrafung
Was bedeutet es zu bestrafen? Bestrafung bedeutet entweder etwas unangenehmes zuzufügen oder etwas angenehmes wegzunehmen. Aber was heißt es für uns Menschen und was für unsere Hunde? Für uns Menschen bedeutet eine Bestrafung, dass wir für etwas bestraft werden, was wir bereits getan haben. Meistens handelt es sich dabei um etwas wo wir schon im Vorhinein ganz genau wissen, dass es verboten ist und dass uns eine Strafe erwarten könnte, wenn wir dabei erwischt werden. Dennoch entscheiden wir uns bewusst dazu das Risiko einzugehen, in der Hoffnung eben nicht erwischt zu werden und eine Strafe schlimmstenfalls in Kauf zu nehmen. Dieser Punkt ist ganz entscheidend, denn demnach handeln wir Menschen vorsätzlich. Uns ist vollkommen bewusst was wir getan haben und wofür wir bestraft werden. Bei unseren Hunden läuft das ganz anders ab. Ein Hund denkt nicht an die Folgen und Konsequenzen seiner Handlung - er folgt schlichtweg seinen Trieben. Demnach ist es für ihn, sofern er nichts anderes gelernt hat, nicht falsch. Bekommt er keine respektvolle, konsequente und geduldige Erziehung in Form von Regeln und Grenzen die einen klaren Handlungsspielraum bieten, kann er die Richtigkeit seines Handelns nicht beurteilen.
Richtig oder falsch
Warum wissen wir was richtig und was falsch ist? Genau, weil es uns beigebracht wurde. Jahrelang. Wie können wir dann von unserem Hund erwarten, dass er es einfach so weiß? Dazu kommt, dass der Hund meist erst lange nach dem Vorfall bestraft wird und nicht mal mehr weiß was er überhaupt getan hat… "War es jetzt etwa falsch das Herrchen oder Frauchen zu begrüßen?"
Stell dir immer zuerst die Frage warum er etwas macht. Wie wir bereits wissen machen Hunde nichts mit bösen Hintergedanken. Das heißt, dass ihnen nicht bewusst ist das sie etwas falsch machen. Meistens weil sie es nicht gelernt haben. Darum ist es so unglaublich wichtig dem Hund die gesellschaftlichen Regeln beizubringen. Nur wenn er weiß was er tun darf, kann er beurteilen was richtig und was falsch ist. Leider gibt es immer noch genug Menschen, die das nicht verstehen. Sie glauben, dass sie den Hund mit Bestrafung korrigieren oder zurechtweisen können. Dabei bestrafen sie den Hund für etwas das er nicht versteht. Was glaubst du was sich der Hund in der Situation über dich denkt? Er wird bestimmt nicht beginnen dich zu respektieren. Nach dem sozialen Verständnis des Hundes benimmst du dich wie ein Irrer. Und er bekommt höchstens Angst vor dir und beginnt sich zu wehren. Und dann beginnen die Probleme erst richtig.
Korrektur vs Gewalt
Das sind zwei verschiedene Welten die man bitte nicht verwechseln darf. Die Basis einer guten und fairen Hundeerziehung muss meiner Meinung nach die positive Bestärkung sein. Es ist schlicht, es ist einfach, es ist effizient und: es macht Spaß. Einen Hund in seinem Verhalten hier und da mal korrigieren zu müssen, wird sich nicht verhindern lassen und gehört zu einem Lernprozess dazu. Und zwar sowohl für den Hund als auch für dich. Auch ich lerne täglich dazu. Korrektur bedeutet aber NIEMALS Gewalt. Niemals. Für mich bedeutet Korrektur, unerwünschtes Verhalten zu unterbrechen und ihm folglich ein richtiges zu zeigen.
Richtige Korrektur
Das ist ein ganz wichtiger Punkt den viele vergessen. Korrektur, nicht Bestrafung, muss in dem Moment passieren in dem er etwas Falsches macht, genauso wie Belohnung. Man sagt du hast nur Sekunden nach dem Ereignis Zeit dafür, ansonsten ist deinem Hund nicht mehr klar um was es geht. Klingt aber jetzt unmöglicher als es eigentlich ist.
Kurz erklärt: Ich mache eine Korrektur indem ich einen Weg finde die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Ein kurzes, lautes, authentisches HEY - oder alternativ in die Hände klatschen - das reicht bei Cassie bereits und ich hab zwei spitze Ohren und große Augen die mich anschauen - und wenn auch nur für eine Millisekunde. Sie will schließlich wissen wer da so laut ist und was genau da abgeht. Und diese Millisekunde Aufmerksamkeit gilt es zu nutzen und zu belohnen. Denn sie macht ja was ich wollte: sie hat ihre Handlung unterbrochen. Zack. So einfach. Im nächsten Schritt gilt es ihr eine alternative Handlung anzubieten und ein positives Erlebnis zu schaffen. Viele machen den Fehler und beginnen genau dann den Hund zu schimpfen. „Du sollst doch nicht den Schuh fressen. Schlimmer Hund!!!!“ Was soll das für einen Sinn haben? Er macht doch alles richtig. Du wolltest das er den Schuh loslässt, also freu dich bitte auch darüber wenn er dies tatsächlich macht und belohne ihn dafür. Alles andere ist vergessen.
Falsche Korrektur
Jede Form der Gewalt zählt für mich nicht nur zur falschen Korrektur, sondern ist komplett inakzeptabel. Niemand muss und darf Gewalt anwenden. Genauso wie bei menschlichen Beziehungen ist das komplett fehl am Platz. Mal abgesehen davon macht es keinen Sinn. Selbst schreien oder schimpfen ist sinnlos. Du erreichst damit nie dein Ziel. Oder vielleicht doch, kurzzeitig. Aber dafür zerstörst du damit etwas anderes. Das Vertrauen.
Schnauzgriff
Der Schnauzgriff scheint in der Hundeerziehung ja besonders beliebt zu sein, darum gehe ich darauf näher ein. Denn Ich bekomme vermehrt Nachrichten in denen mir Leute erzählen, dass sie von diversen Hundetrainern den Tipp bekommen haben bei ihrem Hund einen Schnauzgriff anzuwenden. Zum Beispiel wenn der Welpe beißt oder wenn er in diversen Situationen bellt, in denen er nicht bellen soll. Dabei wurde nicht 1x vorher nach der Ursache des Problems gesucht. Ganz selbstverständlich werden solche grausamen Methoden empfohlen. "Er soll nicht bellen? Na halt ihm das Maul zu. Er soll nicht beißen? Na dann fass ihn an der Schnauze und lass ihn durch einen Schnauzgriff sich schmerzhaft ins Zahnfleisch oder sogar in die Zunge beißen. Das machen Hunde ja untereinander auch so. Dadurch lernt er ganz schnell, dass er das nicht machen soll."
Leute!! Aufwachen! Das kann doch wirklich nicht ernst gemeint sein oder?
Weitere Gewaltanwendungen
Ein Schnauzgriff ist leider nur eine von vielen Gewaltanwendungen die ganz selbstverständlich angewendet werden. Einige andere habe ich auch im Intro schon erwähnt - aber das waren bei weitem noch nicht alle. Aber nur weil ich nicht auf jede Möglichkeit der Gewaltanwendung eingehe, heißt das nicht, dass ich auch nur irgendeine davon akzeptiere. Vergiss das bitte nicht. Genauso wichtig ist mir aber auch zu sagen, dass auch psychische Gewalt in der Hundeerziehung nichts verloren hat - sei es den Hund den ganzen Tag alleine zu lassen oder ihn in einem Zwinger zu halten. Man muss keinen Hund haben - man darf.
Gewalttätige Hilfsmittel
Es ist erschreckend mit welchen Mitteln die Menschen versuchen ihre Hunde zu kontrollieren. Stachelhalsbänder, Elektroschockhalsbänder, Wasserspritzpistolen und ja auch die Retrieverleine sind komplett indiskutabel und trotzdem weit verbreitet. Stell dir das mal vor: Stacheln in der Innenseite des Halsbandes die sich in den Hals drücken oder Halsbänder die dem Hund Elektroschocks geben wenn er bellt. Oder ein Halsband, dass sich bereits beim kleinsten Zug - oder noch gewalttätiger - Leinenruck, eng um den Hals schlingt und den Hund regelrecht würgt und stranguliert. Unvorstellbar. Wer macht sowas?
Deine Rolle "Ich muss ihm zeigen wer der Boss ist. Anders hört er nicht auf." "Die klären das unter sich. So machen das Hunde halt." Ach, Blödsinn! Dafür hole ich mir doch keinen Hund in mein Leben, wenn ich mich dann einfach so jeglicher Verantwortung entziehe. Nur weil ich es nicht schaffe ihn konsequent und liebevoll zu erziehen. Du bist die Mama oder der Papa. Du bist verantwortlich für deinen Hund. Es liegt in deiner Verantwortung, dass dein Hund lernt was richtig und was falsch ist. Es liegt in deiner Verantwortung, dass deinem Hund nichts passiert und dass er niemanden stört geschweige denn verletzt.
Vertrauensbruch
„Ja aber, es tut doch nur kurz weh!“ Klar, der Hund wird von einem Schnauzgriff oder einem Schlag nicht sterben. Dafür leidet aber das Vertrauen und folglich die Beziehung umso mehr. Jedes Mal wenn du deinem Hund was gemeines, negatives oder schmerzhaftes zufügst, wird das Vertrauen zu dir weniger. Ist so. Und ich versteh das. Jemandem der mich verletzt, noch dazu wenn ich etwas falsch mache von dem ich gar nicht wissen kann, dass es falsch ist, vertraue ich auch nicht mehr. Viel eher bekomm ich Angst vor ihm. Angst davor beim nächsten Fehler wieder so behandelt zu werden. Ich finde ja, dass unsere Hunde fast zu gutmütig. Unter solchen Umständen ist es unmöglich eine gute und tiefe Bindung zu seinem Hund aufzubauen. Durch Gewalt wird die Basis der Beziehung schlichtweg Angst und Unsicherheit.
Fehlverhalten
Im besten Fall folgt Unterordnung. In vielen Fällen folgt aber auch aggressives Verhalten als Schutzmechanismus. Hunde die Angst haben beginnen sich zu wehren. Ist doch ganz klar oder würdest du dir das gefallen lassen? Es ist ein Teufelskreis der im schlimmsten Fall mit einer schweren Verletzung durch einen Biss endet. Aber auch schon „kleine“ Gewalthandlungen wie ein Nackenschütteln können selbst im liebsten Golden Retriever Welpen ein aggressives Verhalten auslösen das man mitunter nicht mehr wegbekommt und fatale Folgen mit sich zieht. Dazu möchte ich dir eine Geschichte aus dem Buch „Das andere Ende der Leine“ erzählen.
Es geht um einen 16 Wochen alten, zum fressen süßen Golden Retriever Welpen namens Scooter, der, wie die meisten Retriever, versessen auf Gegenstände war. Ab Tag 1 in seinem neuen zu Hause stolzierte er mit jeglichen Gegenständen im Fang durchs Haus. Die Besitzer haben mit ihm einen Welpenkurs in einer Hundeschule besucht. Dort fragten sie die Trainer um Rat damit Scooter keine Socken mehr aus der Wäsche oder die Fernbedienung vom Tisch klaut. Die Antwort war „Sie müssen tun, was auch Wölfe tun. Gehen Sie hin und packen ihn am Nacken-Fell, schauen Sie ihm direkt ins Gesicht und sagen Sie mit lauter und drohender Stimme NEIN. Sie müssen ihrem Welpen von Anfang an klarmachen, dass sie das sagen haben und ranghöher sind." Er solle dadurch verstehen, dass er mit dem Sachenklauen nicht durchkommt. Gesagt getan. Videoaufzeichnungen zeigten der Autorin, dass die Besitzer dies genau so umgesetzt haben. Sie haben Scooter am Nacken gepackt, geschüttelt und mit „Nein“ angebrüllt. Scooter anfangs sichtlich verwirrt und ängstlich. Er nahm eine beschwichtigende Körperhaltung ein und ließ das Spielzeug aber nicht aus seinem Maul. Scooter wusste nichts weiter, als dass ihn sein Frauchen angriff. Verspannt, verängstigt und verwirrt schloss er seine Augen und wartete, dass der Angriff endlich endet. Aber nichts da. Scooter ließ nicht los und das Frauchen schrie lauter und schüttelte ihn heftiger und näherte sich bedrohlich seinem Gesicht. Weiter hinten auf der Videoaufzeichnung beginnt Scooter zu knurren wenn seine Besitzerin ihn schüttelt und bedrängt. Die letzte Aufnahme zeigt, wie er knurrend sein Frauchen attackiert, während sie lediglich einen Gegenstand vom Boden aufheben wollte. Der Rat, den man Scooters Besitzern gegeben hatte, machte seine Verteidigung von Gegenständen nur schlimmer und zerstörte die gesamte Beziehung. Furchtbar, oder?
Grenzen setzen
Es sind essentielle Bestandteile einer guten Hundeerziehung: klare Regeln und Grenzen. Denn sie schaffen einen sicheren und verständlichen Rahmen. Keinesfalls muss und darf der Hund dabei aber körperlich oder geistig geschädigt werden. Regeln zu folgen und Grenzen zu setzen bedeutet schlichtweg in seiner Kommunikation klar zu sein und sich konsequent daran zu halten. Ein ganzes Hundeleben lang. Das Problem ist, dass die Menschen immer nur schnelle Erfolge wollen. Möglichst schnell ans Ziel kommen, aber möglichst wenig dafür tun. Das geht aber leider nicht. 90% der Hundebesitzer die ich so treffe können ihren Hund gar nicht lesen. Sie hinterfragen weder das Verhalten des Hundes noch ihr eigenes. Und genau da liegt das Problem. Seinen Hund lesen zu lernen, ihn wirklich kennenzulernen und Grenzen einzuführen ist ein langer und stetiger Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Hundeerziehung ist nichts was man nach einem Monat erfolgreich abschließt. Es erfordert Zeit, Geduld und Konsequenz. Und zwar JEDEN TAG! Leider sind viele nicht bereit dazu dies in Kauf zu nehmen. Und das ist schade. Sehr schade sogar.
Ding oder fühlendes Wesen
Definitiv fühlendes Wesen. Wer das begreift, sollte meiner Meinung nach gar nicht in der Lage sein seinem Hund reinen Gewissens weh zu tun. Sei es psychisch oder physisch. Hatten wir bei dem Wunsch einen Hund in unser Leben zu holen denn nicht alle diese romantische Vorstellung, dass unser zukünftiger Wegbegleiter unser bester Freund wird? Uns seine bedingungslose Liebe schenkt und immer treu an unserer Seite ist? Na dann behandeln wir ihn doch bitte auch so. Ausnahmslos. Denn was anderes hat er nicht verdient.
DU, nur du allein hast die Aufgabe als Hundebesitzer deinen Hund zu kennen, zu lenken und zu führen. Und zwar ganz frei von Gewalt. Eine Beziehung die ohne Gewalt nicht funktioniert, funktioniert nicht. Dein Hund sollte doch jede Sekunde gern mit dir verbringen. Weil er dich mag. Und weil du ihn magst. Aus tiefstem Herzen. Da hat Gewalt nichts zu suchen. Der Respekt folgt dann von ganz allein.
Es gibt einen ganz wichtigen Spruch: Ein Hund, der nicht zuhört, ist ein ungehörter Hund.
Lerne deinen Hund kennen! Hör zu. Denn nur wer gut zuhören kann, kann auch verstehen. Und wenn wir verstehen, können wir bekanntlich auch besser erklären. Und wenn du richtig erklärst, dann wird dein Hund dich auch verstehen. Nimm dir das bitte zu Herzen.
Man sagt: "Gute Menschen haben gute Hunde." Also, erzähl mal - wie ist dein Hund so?













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